Damals: Katzenmusik vor dem Schwurgericht

Bericht in der Radevormwalder Zeitung vom 27. Januar 1897 über einen umfangreichen Prozeß vor dem Schwurgericht Elberfeld.

"Wer am Montag früh auf dem hiesigen Bahnhofe mit dem ersten, bzw. zweiten Personenzuge fortfuhr, der mußte, auch als etwa Fremder, sofort empfinden, daß etwas Besonderes bevorstehe. Eine ganz bedeutende Anzahl Personen, die entweder als Zeugen oder als Zuschauer dem Prozeß beiwohnen wollten, hatte sich eingefunden und dampfte alsbald nach Elberfeld ab."

So beginnt ein Bericht in der Radevormwalder Zeitung vom 28. Januar 1897 über einen umfangreichen Prozeß vor dem Schwurgericht Elberfeld. Was war geschehen? Es ging um die gerichtliche Aufarbeitung erheblicher Ausschreitungen auf dem Radevormwalder Marktplatz am Abend des 31. August 1896, die schon als Volksaufstand gekennzeichnet wurden. Eine große Menschenmenge hatte sich damals eingefunden, die "dem Bürgermeister Katzenmusiken darbrachte, wobei weitere Ausschreitungen, die Rathaus-Demolierung und die Bedrängnis der Polizeimacht" vorgekommen war. Nähere Einzelheiten schilderte Polizeisergeant Fahlsing in seiner Zeugenaussage:

Zusammen mit den Kollegen Blättgen und Buchholz habe er sich gegen 8 Uhr am Rathaus auf Wunsch des Bürgermeisters eingefunden. Es habe sich bald eine große Menge Menschen versammelt, von allen Ecken sei geblasen und gelärmt worden. Als er einsah, daß die Polizei nichts ausrichten konnte, habe er die Feuerwehr alarmieren lassen, doch seien dem Alarmruf nur drei Mann gefolgt. Nachdem der ebenfalls herbeigerufene Gendarm Feill mit einem Stein auf der Brust getroffen worden sei, sei die Polizei die Rathaustreppe hinaufgelaufen, wobei bereits mehr Steinwürfe auf die Treppe geprasselt seien. Daraufhin habe die Polizei vier Schüsse abgegeben und das Bombardement des Rathauses habe begonnen. Erst dem telegraphisch alarmierten Gendarmen Radtke war es schließlich gegen 12 Uhr gelungen, die Menge auseinanderzutreiben.

Kurios und eher wie eine Episode aus dem "königlich bayerischen Amtsgericht" mutet es heute an, daß weder die Polizei noch einer der Zeugen oder 12 Angeklagten einen an den Ausschreitungen beteiligten Bürger erkannt haben will. Da sei es aufgrund der ausgelöschten Laternen dunkel gewesen, man habe Barmer oder Remscheider Dialekt gehört oder "der Angeklagte sehe seinem Bruder doch sehr ähnlich, eine Verkennung sei leicht möglich", waren die Ausflüchte. Von den Angeklagten wollte ohnehin niemand etwas mit der Sache zu tun gehabt haben.

Warum sich die Zeugen und Angeklagten hier so verdächtig in ihrer Unwissenheit einig waren, wird klar, wen man dem Volksaufstand einmal näher auf den Grund geht. Denn er war Ausfluß der alten bergischen Sitte des "Ausrappelns", einem lärmenden Hinweis auf sittliche Verfehlungen von Mitbürgern. Und diesmal war es niemand anders als Bürgermeister Hüsgen, gegen den der Volkszorn gerichtet war. Seine bei ihm tätige Haushaltshilfe Elise Haberer hatte nämlich behauptet, der Bürgermeister habe sie "tätlich unsittlich beleidigt."

Nach einer vorausgegangenen Bestrafung wegen übler Nachrede hatte Elise Haberer`s Vater in einer Privatklage das damalige Gericht doch von der Ehrenhaftigkeit seiner Tochter überzeugen können und im Gegenzug den Bürgermeister bezichtigt, daß er "gewohnheitsmäßig mit seinen Worten gegen die Sitte verstoße". Die Folge: Bürgermeister Hüsgen war zu einer Strafe von drei Monaten verurteilt worden, einen Meineidsprozeß hatte er sich ebenfalls eingehandelt.

In seinem Plädoyer verwies nun ein Anwalt der Angeklagten im Landfriedensbruchprozeß darauf, daß das Urteil gegen den Bürgermeister schon lange durch die Bevölkerung von Radevormwald und Umgegend gesprochen sei - die, die sich an jenem Abend auf dem Marktplatz versammelten, hätten es nur durch eine harmlose Katzenmusik vollstreckt. Es sei sogar zweifelhaft, ob überhaupt ruhestörender Lärm vorliege, wo ganz Radevormwald auf den Beinen war und sich über die Vorgänge freute.

Das Ende des dreitägigen Prozesses: Sämtliche Angeklagten wurden freigesprochen! Nur für Bürgermeister Hüsgen gab es ein böses Ende: Er wurde des Dienstes enthoben und wanderte später nach Amerika aus. So endete eine "Gerichtsposse", die vor 100 Jahren Radevormwald in die Schlagzeilen rückte. Zum Gerichtsurteil zum Schluß noch einmal ein Kommentar aus der Radevormwalder Zeitung: "Die Berge kreisen, geboren wird ein lächerlich Mäuslein!"

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